
«Wir haben bei null angefangen»
Genau so stellt man sich einen Hof im Emmental vor: ein schmuckes Bauernhaus, Getreidefelder, einige Kühe auf grüner Wiese, mit Obst behängte Bäume und ein einladender Hofladen mit frischem Gemüse. Doch der EyHof in Burgdorf, in neunter Generation durch die Familie Kunz geführt, ist alles andere als traditionell unterwegs: In den ehemaligen Stallungen der Schweine ziehen die innovativen Landwirte seit 2015 Shrimps auf. So erfolgreich, dass im Sommer 2020 die Produktion mit neuen Becken vergrössert wurde.
Neues Standbein gesucht
Wie für viele andere Landwirte bedeutete die Aufhebung staatlicher Garantien auch für Familie Kunz mehr Handlungsspielraum – und mehr unternehmerischen Druck. Es galt, bewährte Konzepte zu überdenken – oder ganz über Bord zu werfen. «Unser Hof grenzt direkt an mehrere Wohnquartiere, da kam die Erweiterung der Schweinezucht auf eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Grösse nicht infrage», erinnert sich Irene Kunz. «Damit der Hof uns und auch die Söhne samt Familien ernähren kann, brauchten wir einen anspruchsvollen neuen Betriebszweig – einen, der sich nicht so leicht kopieren lässt. Und irgendwann landeten wir bei Shrimps.»
Irene Kunz besuchte mit ihrer Schwägerin Stacy einen Aquakulturkongress in den USA. Und dort fanden sie eine ähnlich aufgestellte Farm, die erfolgreich Shrimps aufzog. Es folgten viele Besuche und ein intensiver Know-how-Austausch. Dann wurde im Frühling 2015 losgelegt, gemeinsam mit den Söhnen Christian und Jürg. Schrittweise wurde die Aufzuchtanlage geplant und im Eigenbau errichtet. «Ein für unseren Betrieb passendes Lego-Modell zum Zusammenbauen gab es nicht», sagt Irene Kunz. «Aber wir sind Leute, die gerne ausprobieren – und Angst vorm Scheitern darf man nicht haben.»
Mit Shrimps erzielt die Familie Kunz etwa 20 Prozent des Umsatzes.
Verhängnisvoller Vollmond
Die Grösse der Becken, Wassertemperatur, Licht und Lüftung, Sauerstoffgehalt und Futtermenge: Es gab viel zu experimentieren und viele Faktoren aufeinander abzustimmen, bis ein halbes Jahr nach dem Startschuss die ersten eigenen Shrimps gefischt werden konnten. «Das war ein echter Lernprozess!», kommentiert Irene Kunz. «Zudem war unser Handbuch auf Englisch verfasst; da musste man erst einmal herausfinden, was zum Beispiel in der Praxis mit ‹a little bit› gemeint war…» Womit Familie Kunz nicht gerechnet hatte: Auch wenn sie ihn gar nicht sehen können, springen die Tierchen bei Vollmond gerne hoch und weit – auch aus dem Becken heraus. Dann überleben sie nur wenige Sekunden. Wegen eines solchen Vorfalls sind die Becken jetzt mit Plastikhüllen abgedeckt, die auch die Wasserverdunstung und den Wärmeverlust mindern.
Aemme Shrimp macht mittlerweile etwa 20 Prozent des Gesamtumsatzes des Hofs aus. Das weitere Einkommen erzielt die Familie durch Eigenvermarktung und Verkauf vor Ort von Gemüse, Salat, Früchten, Kartoffeln, Schnaps und Most sowie dem Fleisch einiger Weiderinder und Schafe. «Für uns ist klar: Wir stehen auf mehreren Standbeinen», hält Irene Kunz fest. Und das zahlte sich während der Coronakrise aus, als die Lieferung der Larven aus Amerika zeitweilig ausfiel und Engpässe entstanden. Auf die Wintersaison hin hofft die Familie, der stetig steigenden Nachfrage wieder entsprechen zu können. Geplant ist nach der Einweihung der im Sommer 2020 fertiggestellten Becken eine Produktion von etwa 2,5 Tonnen pro Jahr.
Aemme Shrimp
Die Larven für die Shrimps werden aus Amerika importiert. Dann wachsen sie in durch Sonnenenergie geheizten, 28 Grad warmen Salzwassertanks heran. Der EyHof betreibt die Aufzucht mit einem Kreislaufkonzept: Bakterien fressen die Exkremente und die abgestossene Haut der Meerestierchen – und die Shrimps ernähren sich wiederum von den Bakterien. Durch dieses ökologische System muss das Wasser nie gewechselt werden. Antibiotika oder Zusatzstoffe werden nicht eingesetzt. Nach einem knappen halben Jahr wiegen die Shrimps etwa 25 Gramm und können gefischt werden. Familie Kunz vermarktet die Shrimps ausschliesslich direkt. Kunden sind Restaurants der Umgebung oder Privatpersonen. – aemmeshrimp.ch