Grippe, Masern, Röteln, Pocken und viele mehr: Der schlechte Ruf als Krankheitserreger eilt Viren nicht grundlos voraus – und die Coronapandemie hat diese Wahrnehmung noch verstärkt. Während manche Viren nur einen lästigen Schnupfen verursachen, führen andere zum Tod – wie etwa das Ebolavirus. Ein Nutzen für den Menschen wird Viren daher in der Regel nicht zugesprochen.
«Wenn wir in Zukunft besser verstehen, wie Viren funktionieren, werden wir auch durch Viren ausgelöste Krankheiten erfolgreicher bekämpfen können.»
Dr. Gert Zimmer, Virologe
Die Beziehung zwischen Mensch und Viren ist trotzdem vielschichtiger. Denn nicht nur ist unser Körper von Billionen Bakterien bevölkert, sondern auch von Viren in vermutlich noch grösserer Zahl. Welchen Einfluss die Gesamtheit dieser Viren – das humane Virom – auf den Menschen hat, ist indes noch weitgehend unbekannt. Die Frage ist Gegenstand aktueller Forschung.
Die Bakterienfresser
Eine interessante Gruppe von Viren sind die Bakteriophagen, salopp übersetzt: Bakterienfresser. Sie haben sich auf Bakterien als Wirtszellen spezialisiert. Im Darm, so lautet eine Vermutung, könnten die Bakteriophagen das Gleichgewicht unter den Bakterien beeinflussen und so indirekt eine Rolle für unsere Gesundheit spielen. Dieser These steht die Beobachtung entgegen, dass bestimmte Bakteriophagen ihre bakteriellen Wirte befähigen, Krankheiten wie Diphtherie und Cholera auszulösen.
Die Retroviren
Wie aber steht es um die etwa neun Prozent des menschlichen Erbguts, die einen viralen Ursprung haben? Sind sie der Beweis für eine mögliche Partnerschaft? Die Frage geht an Gert Zimmer, der am Institut für Virologie und Immunologie (IVI) über Viren forscht. «Die meisten dieser ‹endogenen Retroviren› sind defekt», sagt er. Von Nutzen seien allenfalls retrovirale Proteine, die während der Schwangerschaft an der Entwicklung der Plazenta beteiligt seien. «Retroviren können aber beispielsweise auch Tumore auslösen», gibt Zimmer zu bedenken.
Viren zu Partnern machen
Für den Virologen Gert Zimmer sind Viren grundsätzlich Krankheitserreger. «Dank der Forschung verstehen wir aber immer besser, wie sie funktionieren», sagt er. Und so gelinge es, sich ihre Eigenschaften in der Medizin zunutze zu machen. Auf dass Viren doch noch zu Partnern werden.
Viren im Einsatz – drei Beispiele:
1) Phagentherapie
Bakterielle Infektionen können mit Bakteriophagen behandelt werden. Die Idee ist bereits etwa 100 Jahre alt, doch verschwand nach der Entdeckung von Antibiotika das Interesse daran. Heute, durch das Aufkommen von Antibiotikaresistenzen, rücken Phagentherapien wieder ins Bewusstsein. Noch hat keine dieser Therapien eine allgemeine Zulassung erhalten.
2) Vektorimpfstoffe
Mithilfe von entschärften Viren wird die genetische Information für ein Antigen eines Krankheitserregers in den Wirt geschleust, um eine schützende Immunantwort hervorzurufen. Impfstoffe gegen Ebola, das Denguefieber oder COVID-19, die auf dieser relativ neuen Technik basieren, wurden in Europa bereits zugelassen. Auch am Institut für Virologie und Immunologie wird an Vektorimpfstoffen geforscht.
3) Diagnostik
Um die Wirksamkeit von Impfstoffen zu bestimmen, muss die Menge der Antikörper gegen das Virus im Blut genesener oder geimpfter Menschen gemessen werden. Gert Zimmer hat hierzu ein Verfahren mitentwickelt, bei dem ein harmloses Virus mit der Hülle eines gefährlichen Virus, z. B. SARS-CoV-2, ausgestattet wird. Die Infektion mit diesen sogenannten Pseudotypviren kann durch Antikörper gehemmt werden, die der Körper nach einer vorherigen Infektion oder Impfung gebildet hat. Die Infektion mit dem Pseudotypvirus wird sehr einfach und empfindlich durch ein Enzym des Leuchtkäfers nachgewiesen.
Viren sind einfach da
- Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel, sind demnach keine Lebewesen, sondern «biologische Partikel».
- Ohne Wirtszelle können sich Viren nicht vermehren.
- Beim Vervielfältigen des eigenen Erbguts sind Viren fehlerhaft, was zu Mutationen führt.
- Viren befallen sämtliche Lebewesen, auch Pflanzen, Pilze, Algen und Mikroorganismen im Boden und im Wasser.
- Selbst die grössten Viren sind weniger als einen Tausendstel Millimeter klein und mit einem Lichtmikroskop nicht erkennbar.