Pierre-Yves Caboussat ist Gründer und Partner der Strategie- und Innovationsagentur INNOArchitects in Wabern.

Surfen lernen

Geht es um den Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft, ist viel von Disruption die Rede. Ein Gespräch mit dem Strategie- und Innovationsberater Pierre-Yves Caboussat.
ValOr-11.11.2020|5min
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Herr Caboussat, was ist eine Disruption?

Es ist ein Musterbrecher. Nehmen wir als Beispiel das Bedürfnis Musik hören. Streamingplattformen wie Spotify erfüllen es auf eine ganz andere Art und verdrängen traditionelle Angebote, weil die Menschen ihre Gewohnheiten anpassen. Die neuen Anbieter verändern die langjährige Logik von ganzen Industrien, so werden heute im Musikgeschäft nur noch wenige Tonträger gekauft. Ausgangspunkt einer Disruption ist zumeist eine technologische Neuerung, kombiniert mit einem neuen Geschäftsmodell. In unserem Beispiel: mieten statt kaufen.

 

Fallen grosse Marktteilnehmer zwingend einer Disruption zum Opfer?

Nicht unbedingt. Es gibt Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle an die neuen Begebenheiten anpassen können. Netflix zum Beispiel hat zuerst DVD-Filme verschickt und dann relativ früh aufs Streaminggeschäft gesetzt. Es ist aber schon so, dass die Etablierten eine disruptive Entwicklung häufig nicht überstehen. Von den weltweit 500 wertvollsten Firmen des Jahres 2005 ist heute gut die Hälfte nicht mehr auf der Liste aufgeführt. Sie wird heute von den digitalen «Plattformunternehmen» aus den USA und China dominiert.

 

Und die Kunden profitieren?

Es sind ja die Kunden, die diese Entwicklung antreiben! Weil sie von tieferen Preisen und grösserer Convenience profitieren. Das Neue ist einfacher und praktischer. Aber es gibt auch die Kehrseite: Wegen Spotify und Konsorten verkaufen Musikerinnen und Musiker viel weniger Tonträger. Konzerttickets sind deshalb teuer geworden. Oder ein anderes Beispiel: Onlineshopping macht den stationären Zwischenhandel überflüssig, viele Geschäfte ziehen sich aus den Städten zurück. Das mag die Zentren entlasten, hat aber gesellschaftlich und ökonomisch weitreichende Konsequenzen.

 


Die wirtschaftliche Entwicklung als Wellengrafik. 


Disruptive Entwicklungen sind global. Was heisst das für lokale Anbieter?

Gerade die Digitalisierung bietet auch Chancen. Einerseits indem sie vielen Anbietern den Marktzugang erleichtert, andererseits weil im Sinne einer Gegenbewegung das Regionale gegenüber der Globalisierung wieder an Bedeutung gewinnt.

 

Was müssen etablierte Unternehmen tun, damit sie nicht plötzlich untergehen?

Sich ständig hinterfragen und erkennen, wohin sich der Markt entwickelt. Auf dem Bestehenden ausruhen reicht nicht. Idealerweise führen und entwickeln sie das einträgliche Geschäft weiter, solange es geht. Parallel dazu sollten sie ein neues Geschäftsmodell aufbauen. Man muss lernen, auf zwei oder sogar drei Wellen zu surfen. Kodak zum Beispiel war in der Analogfotografie führend und hat die digitale Welle kommen sehen. Das Unternehmen entwickelte sogar die ersten Digitalkameras und verpasste die Welle trotzdem. Weil es seine Cashcow, den Verkauf von analogen Fotofilmen, nicht selbst kannibalisieren wollte.

 

Was heisst es für die Mitarbeitenden, auf mehreren Wellen zu surfen?

Sie müssen offen dafür sein, sich mit der Organisation weiterzuentwickeln. Das Management auf der anderen Seite muss bereit sein, die Menschen mitzunehmen. Ich empfehle partizipative Strategieprozesse, damit ein Umbruch zu einer Reise des gesamten Unternehmens wird und die Veränderungen von allen verstanden und getragen werden.

 


 

Pierre-Yves Caboussat ist Gründer und Partner der Strategie- und Innovationsagentur INNOArchitects in Wabern.

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